Gute Frage und auch provakanter Titel, ich weiß! Ich selbst habe unlängst über die Wichtigkeit und auch Notwendigkeit geschrieben, Kandidatinnen und Kandidaten mit einer nicht verrückbaren Selbstverständlichkeit in den Mittelpunkt der eigenen Recruiting-Aktivitäten zu stellen. Ich glaube auch, dass es immer noch Sinn macht und so sein muss. Es gibt aber auch andere Meinungen: Mir ist vor kurzem ein, nennen wir es White Paper in die Hände gefallen in der die Candidate Centricity deutlich in Frage gestellt wird. Mitgewirkt in diesem White Paper hat auch die renommierte Strategieberatung Ronald Berger, sodass sich schon ein genauerer Blick lohnt. In diesem besagtem Papier hinterfragen die Autoren insgesamt 5 Thesen des digitalen Marketings das ja in der letzten Zeit die Zentralisierung des Kunden zum Hauptanliegen und Kern seines Handelns erkoren hat. Ich will nun folgend versuchen diese Thesen für das Recruiting und Personalmarketing zu diskutieren.

These #1: Die Ära der Kundenzentrizität ist da.

Sag ich ja, werden nun viele denken – ich auch! Die erste Antwort, die die Autoren hierauf geben ist: „Aber die meisten Unternehmen sind nicht darauf vorbereitet“. Das  könnte ich mit Blick auf das Recruiting schon fast unkommentiert so stehen lassen. Die Zielrichtung die im White Paper eingeschlagen wird zielt vor allem auf die Marke und auch auf die Kaufentscheidungen, den „Moment of truth“. Im Recruiting also abgeleitet, der Moment in dem sich Bewerbende entscheiden ihr Interesse an einem Unternehmen in welcher Form auch immer „offiziell“ zu machen. Aber in diesem Kontext machen die Autoren sehr spannende Aussagen, die auch für das HR-Marketing von Interesse sein sollten: Kunden (bei uns Bewerber) denken nicht in Kanälen, sondern in Bedürfnissen und bestimmen dann auch selbst, wann und wo sie sich zu welchen Aktionen entscheiden. Weiter wurde festgestellt, dass Marketing nur noch zu einem Drittel aus gepuschten Informationen des Unternehmens besteht und die anderen zwei Drittel aus Interaktion, die die Kunden auslösen. Und das sind schon beeindruckende Werte, weil dies bedeutet, was wir ja auch schon immer im Recruiting sagen: Recruiting ist Kommunikation, HR-Marketing auch. Kampagnendenken, das nur auf das Senden von (Job-) Botschaften abstellt und keine Interaktion- und Kommunikation zulässt scheitert. Und auf diese notwendigen Interaktionsformate sind Unternehmen und ich behaupte auch Recruiting-Abteilungen nicht eingestellt und vorbereitet.

These #2: Omni-Kanal-Strategien und Customer Journey sind die Zukunft.

Auch ein Punkt, den wir im Recruiting respektive im HR-Marketing schon seit langem rauf und runter diskutieren. Im Grunde geht es den Verfassern des White Papers hier um die Individualisierung der Customer Journeys auf Basis von echten Daten der Zielgruppen. Das macht ja grundsätzlich absolut Sinn und ist auch das, was wir im Recruiting immer schon versuchen. Nur geben sie weiter an, dass die meisten Unternehmen schlichtweg keine Ahnung über die Wege ihrer Kunden haben und gehen einen Schritt weiter und sagen somit auch keine Ahnung über ihre eigenen Produkte haben können. Denn, wenn der Weg zum Produkt unklar ist, ist auch unklar ob das Produkt die Zielgruppe überhaupt benötigt. Ist wie wenn man sich die Hände vors Gesicht hält und dann Verstecken spielt. Aber es ist was Wahres dran finde ich an dieser Aussage und wir finden diese Phänomene auch im HR-Marketing immer wieder: Wie oft wird Geld für etwas ausgegeben „Weil man es schon immer so macht“ oder man einfach keine anderen Lösungen weiß wie man noch die Zielgruppe begleiten könnte und mit was. Wir haben so gut wie keine verlässlichen Daten zu den Wegen unserer Zielgruppen weil wir nicht mal genau wissen wo denn unsere Zielgruppen sind und was sie genau tun. Dazu kommt, dass wir uns immer fragen, wie, mit was oder mit welchen kommunikativen Mitteln wir was am besten darstellen und vergessen oft unser Produkt: den Job. Aus den Wegen über das Produkt lernen finde ich einen spannenden Ansatz, der so scheint es funktioniert.

These #3: Daten sind die Grundlage für Omni-Kanal-Strategien.

HA! Und wieder volle Zustimmung! Und jetzt gleich den „Aber-Finger“ gehoben: „Meistens sind nicht mal die einfachsten Daten in Unternehmen miteinander verknüpft“. Und das stimmt leider auch wieder. Auch im Recruiting und HR- Marketing haben wir, wenn wir überhaupt Daten haben nur Daten-Silos. Es gibt sehr wenige Lösungen die aus Silos ein Data-Warehouse machen und dieses Warehouse dann noch in Echtzeit auslesbar vorhalten.  Weiter wird in diesem Papier aufgeführt, dass in einer von den Autoren durchgeführten Befragung Unternehmensvertreter angeben, nur den originären Verwendungszweck ihrer Daten zu kennen und schlichtweg gar nicht wissen was denn sonst noch alles damit möglich wäre. Und weiter: Sie wissen dann auch nicht was sie mit den Daten tun sollen, sprich was für Entscheidungen daraus entstehen können und sollten. Ich glaube, in HR-Abteilungen haben wir mitunter ein ähnliches Bild. Daten sind wichtig, aber Daten und Verwendungszweck sowie Verwendungszusammenhang sind oftmals in aller Tiefe nicht bekannt. Haben wir also Äpfel und Birnen bringen uns Cross-Media-Kampagnen bestimmt etwas, aber valide Zahlen ohne passende Daten-Infrastruktur und Wissen dazu liefern sie nicht. Hier rücken wir schon ein großen Stück ab vom Wunsch die Kandidaten in die Mitte des Handelns zu stellen, da wir keinerlei Angriffsflächen haben um auswerten zu können ob das was wir tun auch überhaupt funktioniert. Und hoffen bringt halt mal gar nix.

These #4: Die Zeit der Bauchentscheidungen geht zu Ende.

Das ist ebenfalls ein Thema, dass wir derzeit im Recruiting vor allem viel diskutieren. Hier in dieser Ausführung wird der Fokus vor allem auf Big Data Anwendungen und deren Auswertungen gelegt. Auch das ist ein Thema, dass wir in HR vor und auch besprechen. Der Einwand, der aufbracht wird ist der, dass diese Technologien einfach zu kompliziert sind was sie nicht wirklich anwendbar in Unternehmensalltag macht. Hierzu kann ich selbst nichts sagen, da ich bis dato nur am Rande das Vergnügen hatte mit Big Data Lösungen zu arbeiten. Der zweite angesprochene Punkt trifft aber wieder in einer Kerbe, die mir bekannter vorkommt: Das Wissen über die Technologie und die Verwendung von ihren Ergebnissen. Es scheint also nicht nur in HR so zu sein, dass die neueren Technologien nicht ganz verstanden werden und wenn sie zum Einsatz kommen ihre Ergebnisse zwar gesehen werden aber keinen Einfluss auf maßgebliche Entscheidungen haben. Die Autoren führen an, dass Unternehmen, die datenbasierte Entscheidungen auf Management-Ebene etabliert haben um ein vielfaches erfolgreicher sind wie ihre Wettbewerber. Das sollte doch auch Ansporn für uns im Recruiting sein, denn hier haben wir glaube ich auch noch ein paar Lücken zu schließen.

These #5: Unternehmen müssen zu „Analytical Competitors“ werden.

Auch hier werden zwei Bereiche angesprochen, die uns aus Recruiting-Sicht bekannt sein dürften: Zum einen sehen wird dem Marketing eine deutlich größere Rolle in Zukunft zugeschrieben wie es jetzt der Fall ist. Denke, dass geht auch einher mit dem Recruiting. Immer mehr Unternehmen verankern Recruiting in Richtung der Chef-Etagen und machen Personalgewinnung zumindest zu „Chef-Sache“. Damit es aber nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, müssen zum anderen neue Kulturelemente miteinander verknüpft werden und tatsächlich ein neues Arbeiten in Unternehmen und somit auch in den Recruiting-Abteilungen einziehen. Und das, genau das ist die Krux die nicht funktioniert. Die Mischung als Analytics, Innovation und Fehlertoleranz die dafür benötigt wird muss wachsen und verstanden werden. Im Recruiting lässt meist der operative Druck solch einen Kultur-Change nicht zu. Dennoch muss er stattfinden damit die genannten Punkte funktionieren. Auch müssen wir im Recruiting endlich einmal lernen mehr zu versuchen und uns zu trauen. Es kann nicht immer die Erdbeer-mit Sahne-oben-drauf-Lösung von Beginn an am Start sein. Die „neue“ und schnelle Welt spricht von „Fail fast“ und „MVP“ und macht damit riesen Erfolge. Wer denkt, das mit Google for Jobs eine allumfänglich funktionierende Jobbörse an den Start geht, hat denke ich einiges versäumt. Also gilt eine klare Aufforderung: Recruiter seid mehr Beta!

Jetzt bin ich schon bisschen in die abschließenden Gedanken gerutscht. So verkehrt sind die Einwürfe aus dem Papier nicht, auch wenn sie sicherlich einen sehr starken Corporate Charakter haben. Dennoch bin ich der Meinung, dass es sich lohnt und es ein Ziel sein muss an der Candidate Centricity festzuhalten und daran zu arbeiten ihr Schritt für Schritt näher zu kommen. Ein paar wichtige Handlungsfelder wurden uns durch die Arbeit aufgezeigt.

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