Endlich komme ich dazu mich dem Thema „Agilität im Recruiting“ zu widmen. Ich habe mich, zugegebenermaßen erst einmal selbst richtig schlau machen müssen was dieses „agile“ denn so ist und habe einiges gelesen und gemacht um mich dem Ganzen zu nähern.

Grund dafür war die in der letzten Zeit sehr offen geführte Diskussion die die Wörter „Agilität“ bzw. „agile“ immer wieder aufbrachte. Zum einen schien dieses Diskutieren ein wenig Bewegung in die erstarrte, versteifte und evtl. auch verscheuklappte Management-und Recruiting-Welt zu bringen. Zum anderen blieben die Aussagen und Gespräche die ich dazu führte oftmals an bunt mit Post-it beklebten Wänden hängen. So will ich jetzt versuchen hinter diese kunterbunt bestückten Wände zu schauen um zu sehen, ob wir es mit „Altem Wein in neuen Schläuchen“ oder „Neuem Wein in alten Schläuchen“ zu tun haben.

Da ich aber kein Management-Berater bin, sondern mich in meiner Beratung mit Recruiting und Personalmarketing beschäftige, richte ich meinen Fokus logischerweise auf diese Bereiche. Denn auch hier werden neuerdings „Agile Recruiter (m/w)“ gesucht und der Recruiting-Prozess soll dabei einer agilen Frischzellenkur unterzogen werden. Aber fangen wir von vorne an!

Agilität – eigentlich was Soziologisches

Hier will ich nur einen kurzen Einblick geben und drauf hinweisen, dass das AGIL-Schema eigentlich schon recht alt ist und aus einer ganz anderen Disziplin stammt. Es wurde in den 1950er Jahren vom Soziologen Talcott Parsons als systemtheoretisches Handlungsmodell entworfen. Die einzelnen vier Buchstaben aus der Wortkombination AGIL stehen dabei für die einzelnen Phasen des Handlungsmodells die durchlaufen werden. Dabei beutetet Phase A(Adaption) die Anpassung eines Systems an sich ändernde Umweltbedingungen. In Phase G(Goal attainment) sollen Zielen gesetzt und vor allem auch realisiert, also durchgesetzt werden. Die Phase I(Integration) stellt, wie der Name eigentlich auch schon andeutet, das Zusammenwachsen und auch Zusammenhalten der Systeme sicher. Und letztlich Phase L(Latenz) soll die gemeinsamen Werte und Normen, sowie geschaffenen Strukturen absichern. Anwendbar ist dieses Modell beispielsweise in der Erklärung von Gesellschaften. Hier wird dann jeder Phase des AGIL-Schema ein bestimmtes gesellschaftliches Subsystem zugeteilt. Jedes dieser Subsysteme beinhaltet wiederum für sich den Handlungsrahmen, also das AGIL-Schema. So können dann gesellschaftsspezifische Handlungsprozesse erklärt werden. Hier will ich meine Ausführungen aber auch schon beenden und die Interessierten auf die Publikationen des Herrn Parsonsverweisen.

Es stellt sich dann doch die Frage, wie so eine hochkomplexe Systemtheorie, die aus der Soziologie stammt zu einem mittlerweile angesehenen Management-Vorgehensmodell werden kann.

Agile Methoden – jetzt kommen die Schläuche

Die agile Vorgehensweise stammt ursprünglich aus der Softwareentwicklung. Dort wurde schon in den 90iger Jahren der Versuch unternommen, den klassischen Projektmanagement-Methoden eine flexiblere Vorgehensweise entgegen zu setzen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: das Wort „agil“ wurde im Jahre 2001 auf einer Konferenz von Programmierern, die eben „agile“ Prozesse und Methoden verwendeten einfach ausgewählt. Es sollte das bis dahin gebräuchliche „lightweight“ ersetzen. Ob die dort Anwesenden das oben beschriebene soziologische Modell im Blick hatten ist nicht nach Stuttgart durchgedrungen. Was aber auf dieser besagten Konferenz noch entwickelt und auch verabschiedet wurde finde ich deutlich interessanter: es wurde ein, oder vielmehr „das“ agile Manifest verabschiedet auf dessen Basis bis heute gearbeitet wird.

Es geht also um deutlich mehr als um bunte Post-it auf strukturierte Kanban- oder Scrum-Boards zu kleben. Es gibt einen methodischen Überbau! Das agile Manifest beginnt mit den agilen Werten, also den Grundpfeilern des agilen Handelns. Es werden vier benannt (Preußig 2015, S. 16):

  1. Menschen und deren Zusammenarbeit sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge,
  2. Ein funktionierendes Produkt ist wichtiger als umfassende Dokumentation,
  3. Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen,
  4. Die Reaktion auf Veränderungen ist wichtiger als Befolgen eines Plans.

Des Weiteren wird zwischen agilen Techniken und Methoden unterschieden. Die agilen Techniken helfen grundlegen dabei Projekte zu steuern und zu strukturieren. Denn, und hier liegen viele falsch, ist Planung und Steuerung ein Muss auch in agilen Projekten. Meiner Erfahrung nach wird dies immer wieder (gern) vergessen sobald das Wort „agil“ vor das Wort „Projekt“ gesetzt wird. Und das führt dann zu Chaos. Zur Steuerung setzt das agile Projektmanagement dann Task-Boards ein oder arbeitet beispielsweise mit Work-in-Progress-Limits, die den Workload begrenzen und die Projektmitarbeiter schützen sollen. Agile Methoden unterstützen dann, wenn man so will das operative Handeln im Projekt. Hier findet sich die allseits bekannte Methode Scrum wieder. Aber auch zu Scrum gehört nicht nur das Bewegen der Post-it, sondern es gibt auch hier wieder explizite Planungsmethoden wie Planing-Poker oder Time-Boxing.

Agile Recruiting – alter Wein – neuer Wein?

Halten wir einfach mal fest, dass agiles Arbeiten auch innerhalb klar definierten und auch in Teilen vorgegeben Strukturen stattfindet. Jedoch weisen diese in den outcome-Prozessen eine absolute Individualität auf und „belasten“ Projekte somit nicht mit der Kontrolle von Einzelschritten, sondern haben ihren Blick auf den Out-Put, also auf den Ergebnissen.

Richten wir den Fokus auf das Recruiting, so lässt sich in einem schnellen und oberflächlichen Blick feststellen, dass das ein oder andere doch bekannt erscheint. Vor allem die agilen Grundwerte sind doch mehr oder weniger bekannt, zumindest derzeit in aktivem Austausch. So verhält es sich bei dem ersten Wert „Mensch wichtiger als Prozesse und Werkzeuge“. Hier scheiden sich ja bekanntlich die Geister. Zum einen diskutieren wir ja fleißig wie weit die Digitalisierung in das Handeln des Recruiting eingreifen kann, darf und soll. Zum anderen scheinen Unternehmen ohne konkret definierte Recruiting-Prozesse nicht mehr klar zu kommen. Als nächstes schließt sich gleich die zu Gunsten des Produktes zu vernachlässigende Dokumentation an. Jetzt könnten wir streiten welches das Produkt des Recruitings ist. Ich sage mal die besetzte Stelle. Wieso können wir in dem Fall als Recruiting nicht dem Fachbereich einfach die Stelle besetzen – Prozess & Dokumentation geht nur uns was an. Ich wage zu behaupten: es fehlt oftmals an Vertrauen. Vertrauen in das Können und Handeln der Recruiting-Organisation. Dieses fehlende Vertrauen mündet dann in der Forderung nach permanenter (Prozess-) Transparenz: „Informationen müssen für jeden zur jeder Zeit an jedem Ort zur Verfügung stehen!“ Müssen sie das in einer agilen Recruiting-Organisation? Wäre es nicht besser sich stattdessen regelmäßig wie im dritten Wert konstatiert mit dem Kunden auszutauschen und zwar auf Augenhöhe. Dass die Bewerberinnen und Bewerber die Kunden des Recruiting sind unterstelle ich hier einmal. Aber auch hier sind wir nicht sicher und klar aufgestellt. Ist unser Kunde nicht doch der interne Fachbereich – unsrer Auftraggeber? Und schlussendlich reagieren wird auf Veränderungen sofort! …wenn sie in unseren Recruiting-Prozess passen, der Fachbereich das Budget freigibt, der Einkauf uns die gewünschten Tools einkauft und uns vertraut wird, dass wir nun die finale und absolute Lösung haben. Als Resultat kommt dann meist das bestehende Kanal-Portfolio zum Einsatz damit nichts passiert und keine unnötigen Diskussionen geführt werden müssen. Ich glaube, wenn wir eine agile Vorgehensweise im Recruiting umsetzen wollen, haben wir zumindest auf der Ebene des Mind Sets und einem agilen Werteverständnis noch ein wenig zu tun.

Aber –  Recruiting reagiert auf den Markt und seine Veränderungen. Das war und ist schon immer so gewesen. Auch ohne das Wort „agile“. Anpassen auf Zielgruppen, Markttrends und die Genrationen unserer Zeit muss verstetigte Normalität des Recruiting-Geschehens sein. Recruiting muss sich als Problemlöser für eine ganz bestimmte Problematik verstehen: das Besetzen einer Vakanz. Das Vorgehen kann jeweils unterschiedlich sein. Das könnte als „agile“ bezeichnet werden. Dies geschieht, ohne die explizite Anwendung von agilen Methoden in fast allen Recruiting-Organisationen. Wir haben, so glaube ich vielerorts eine Art Ratio von Recruiter zu betreuten Vakanzen eingeführt. Das kann einem agilen WIP-Limit gleichgesetzt werden. Ebenso arbeiten wir mit Personas und besprechen uns in regelmäßigen Abständen mit unseren internen Auftraggebern und externen Kunden. Ob wir hier vor allem die Belange der externen Kunden unter agilen Gesichtspunkten berücksichtigen ist mancherorts zu bezweifeln (Stichwort CX). Was uns aber definitiv fehlt ist ein Scrum Master, also eine Art „Kümmerer“ der versucht den Einhalt dieser Techniken rückhaltlos sicher zu stellen. Hier ist Recruiting doch (noch) zu abhängig von den Entscheidungen und Treibern aus dem Business. Was das agile Methodenset angeht so ist es fast Normalität, dass in einem professionell verstandenen Recruiting einzelne Phasen und Schritte je nach Vakanz unterschiedlich angegangen und durchgeführt werden um damit zum Erfolg zu kommen. Also sehe ich auch hier eine Art des agilen Arbeitens.

Also können wir zum Ende dieses Artikels festhalten, dass wir im Fokus eines ganzheitlichen agilen Vorgehens in Recruiting-Organisationen nur teilweise hinter hinken. In manchen Teilbereichen arbeitet Recruiting aber per se unter einem agilen Paradigma. Was dann doch deutlich fehlt ist ein gemeinsames Recruiting-MindSet und dessen einheitliche Anwendung. Dies schließt die Verwendung von Begrifflichkeiten aber auch die Ausbildung zwingend mit ein. Vielleicht sollten wir die Worthülse „Agile Recruiting“ einfach weglassen und beginnen an einem Recruiting-Verständnis zu arbeiten. Beginnend fände ich gut, wenn wir Recruiting als Dienstleister verstehen das sich, egal nach welchem Vorgehensmodell nie entspannt zurücklehnt, sondern immer aktiv an Lösungen arbeitet –  my #2cents

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