Dass sich derzeit etwas auf dem Arbeits- und Bewerbermarkt verändert, ist offensichtlich und dürfte den meisten aufgefallen sein. Eine der Konsequenzen ist, dass einige Recruiting-Organisationen weniger operatives Geschäft zu erledigen haben. „Gut so“, sagen die einen – die Recruiter:innen haben so nur noch eine 120-prozentige Auslastung. Wobei mir nach wie vor unklar ist, was die 100-Prozent-Linie genau bedeutet und woher sie stammt. Eine allgemeingültige Definition scheint es jedenfalls nicht zu geben. Andere hingegen sagen, die frei gewordene Zeit solle genutzt werden, um längst überfällige strategische Initiativen anzugehen. Aber ist das so einfach? Kann man vom operativen Geschäft nahtlos in einen strategischen Kontext wechseln? Schauen wir uns das genauer an.

Mythos oder Realität?

Auf den ersten Blick erscheint es logisch: Wenn im operativen Tagesgeschäft keine Zeit für die Weiterentwicklung des Recruitings bleibt – keine Gelegenheit, Recruiting-Excellence-Programme zu entwickeln und umzusetzen – dann müsste das möglich sein, sobald mehr Zeit zur Verfügung steht. Diese Zeitreserven, die durch den Rückgang operativer Aufgaben entstehen, könnten in strategische Recruiting-Projekte fließen. Ein Blick in die Praxis zeigt jedoch: Es funktioniert oft nicht wie erhofft. Ist dieser Anspruch also eher Mythos als Realität? Man kann dieses Thema grundsätzlich aus zwei Perspektiven betrachten (und möglicherweise auch aus weiteren): einerseits aus der Sicht der handelnden Personen, andererseits im Hinblick auf die Rahmenbedingungen.

Die handelnden Personen

Beginnen wir mit den handelnden Personen. Hier hat sich eine (vielleicht gewagte) These etabliert: Viele Menschen glauben, strategisch arbeiten zu können, tun sich damit in der Praxis jedoch schwer. Tatsächlich gibt es Studien, die zeigen, dass strategische Fähigkeiten oft überschätzt oder nur schwach ausgeprägt sind (vgl. z. B. hier oder hier). Dies kann zu einem Missverhältnis zwischen Anforderungen und Fähigkeiten führen. Ein bekanntes Modell, das dies aufzeigt, ist das Person-Environment-Fit-Model von Jeffrey R. Edwards und Robert D. Caplan

Rahmenbedingungen in der Recruiting Organisation

Die weitaus einflussreichere Perspektive betrifft jedoch die Organisation und ihre Rahmenbedingungen. Hier lassen sich einige Hindernisse identifizieren, die es erschweren, strategische Arbeit umzusetzen.

Fehlende Integration von Strategie und operativem Handeln
Ein zentrales Problem bei der (oftmals ad-hoc) Umstellung von operativer auf strategische Arbeit ist die fehlende Verknüpfung dieser Ebenen. Recruiter:innen, die überwiegend operativ tätig sind, können Schwierigkeiten haben, den Nutzen strategischer Ansätze für ihren täglichen Workflow zu erkennen – insbesondere bei mittel- und langfristigen Projekten. Die St. Galler Business School betont, dass eine systematische Verzahnung von strategischem Denken und operativem Handeln notwendig ist, um dies sicherzustellen.

Unzureichende organisatorische Strukturen
Strategische Arbeit erfordert flexible und anpassungsfähige Organisationsstrukturen. Wenn Unternehmen – einschließlich der HR- und Recruiting-Abteilung – jedoch hierarchisch und starr organisiert sind, behindert dies notwendige strategische Initiativen. Häufig fehlen klare Zuständigkeiten und eine saubere Kommunikation genau für diese Themen, aber sind die für die Erstellung strategischer Pläne unverzichtbar.

Mangelnde Prozessausrichtung
Strategische Arbeit scheitert oft daran, dass die Prozesse im Recruiting nicht darauf ausgelegt sind, langfristige Ziele zu unterstützen. Operative Prozesse sind meist auf Effizienz und kurzfristige Ergebnisse ausgerichtet (Einstellungen), während strategische Initiativen langfristige Ziele verfolgen. Ohne eine entsprechende Prozessanpassung wird es schwer, strategische Arbeit zu integrieren.

Kulturelle Barrieren
In vielen Recruiting-Abteilungen dominiert eine „Hiring-Kultur“, die stark auf kurzfristige operative Erfolge ausgerichtet ist. Dies kann strategische Initiativen behindern. Recruiter:innen, die in einer solchen Kultur arbeiten, erkennen oft keinen unmittelbaren Nutzen in strategischen Projekten. Dies führt zu Widerstand oder einer passiven Haltung, die die Umsetzung von Strategien verzögert oder sogar verhindert. 

Fehlende Koordination zwischen Managementebenen
Ein weiteres zentrales Hindernis ist die unzureichende Abstimmung zwischen den verschiedenen Managementebenen. Häufig werden auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedliche strategische Ansätze diskutiert, ohne sie in Einklang zu bringen. Diese Diskrepanz führt dazu, dass strategische Ziele nicht einheitlich im gesamten Unternehmen umgesetzt werden. 

Zusammenfassend gibt es zahlreiche reale und uns bestens bekannte Gründe, warum es nicht so einfach ist, von operativem auf strategisches Arbeiten umzuschalten. Dennoch bleibt die Idee, dies zu tun, richtig. Recruiting ist ein dynamisches und kontinuierliches Lern- und Entwicklungsfeld – ich finde nach wir vor, dass es sich  lohnt diesen Schritt zu gehen. Damit dies jedoch gelingt, müssen vorab einige grundlegende „Hausaufgaben“ erledigt werden.

Der Shift – wie er gelingen kann

Recruiting unterliegt in den meisten Unternehmen Schwankungen und Impulsen, die es ermöglichen, freie Zeit für strategische Projekte zu nutzen. Damit dies erfolgreich gelingt, müssen jedoch grundlegende Aspekte der Recruiting-Organisation bedacht und umgesetzt werden. Die oben genannten Problemstellungen müssen gelöst werden, um den Schalter von „operativ“ auf „strategisch“ umlegen zu können. Klar ist, dass die Struktur und Ausgestaltung der Recruiting-Organisation einen maßgeblichen Einfluss darauf haben und der Schlüssel zum Erfolg sind.

Wer operative Schwankungen schnell und effizient auffangen möchte, sollte strategische Projekte nicht einfach ungeplant in die Organisation kippen. Das funktioniert nicht, wenn Rahmenbedingungen und Qualifikationen fehlen. Soll dieser Ansatz häufiger umgesetzt werden, ist der Startpunkt die Organisation – genauer gesagt ihre Struktur. Dann wird es besser gelingen, vorhandene Zeitreserven sinnvoll zu nutzen.

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